Die helle Seite des Mondes

Illustration: Oliver Conrad
Text: Dominik Brülisauer

Anmerkung: Als Kolumnist des SnowboarderMBM durfte ich zwischen 2006 und 2010 über meinen Lieblingssport schreiben. Wenn ich diese Texte heute lese, bin ich immer wieder positiv überrascht, wie reif ich in diesem Alter bereits war und dass ich keinen einzigen peinlichen Satz veröffentlicht habe.

Hallo zusammen, ich möchte mich an dieser Stelle gerne kurz vorstellen. Ich bin Duck’s unterdrückte feminine Seite, Duckletta. Duck hat gerade mit seinen Barbarenfreunden während ihrem monatlichen Testosteronglorifizierungsritual seine Unterhosen geraucht. Das heisst, dass er mindestens bis Übermorgen nicht ansprechbar sein wird.

Ich möchte mich bei allen MBM-Leserinnen für die linguistischen Verfehlungen, rhetorischen Fauxpas und politisch inkorrekten literarischen Vergewaltigungen meines männlichen Alter Egos entschuldigen. Ducks Sicht auf die Welt ist primitiv, pubertär und antiquiert. Im Zeitalter von Charlotte Roche, Lady Bitch Ray, Vagina Power und «Grey’s Anatomy» glaubt dieser Primat immer noch an John Wayne, Ice-T, Pimmelforce und Baywatch. Aber das kann man ihm nicht wirklich verübeln. Er ist ein Engadiner wie er im Buche steht – zum Glück im Buch der gefährdeten Arten. In diesem Tal sind die Winter lang und hart und die Zivilisation ein Gerücht wie Atlantis. Der aufrechte Gang wurde erst vor 15 Jahren eingeführt, das Wort Frauenstimmrecht evoziert hier immer noch gleich viel Gelächter wie Jim Carrey, Homer Simpson, Charly Chaplin und die versammelten Germany’s next Topmodel-Kandidatinnen auf der gleichen Silvesterparty. Die gesamte Kommunikationskunst des gemeinen Engadiners beschränkt sich auf drei Grunzlaute: eines für Hunger, eines für Durst, eines für Snowboarden. Wer jetzt gedacht hat, dass die Engadiner noch ein Grunzlaut fürs Bumsen haben müssten, macht einen Überlegungsfehler. Der Engadiner fragt nicht, er bumst einfach alles, was nicht schnell genug auf die Lärchen flüchten kann.

Nun, um Ducks Kolumnen einigermassen verstehen zu können, muss man ihn in seinem ganzen Kontext versuchen zu betrachten. Sein Herkunftstal ist nur ein Teil davon. Ein weiterer ist sein mangelndes Selbstbewusstsein. Mit seinem Macho-Gehabe versucht er die Leute von seinen zahlreichen Schwächen abzulenken. Von seinem mikroskopisch kleinen Penis (Kürzlich hatte er einen Mückenstich gleich neben demselben. Beim Pinkeln war er sich so lange nicht sicher, was was sein könnte, bis er sich über die Hände gepisst hat), von seinen Snowboardskills (Duck ist so ein Typ, der sich immer freiwillig meldet um für seine Kumpels nachzusehen, ob kein Tourist in der Landung steht. Er tarnt das als soziales Engagement. Im Grunde hat er aber einfach vor jedem Kicker die Hosen gestrichen voll. Das heisst natürlich an solchen Tagen, wo Engadiner überhaupt mit Hosen bekleidet aus ihren Höhlen rauskriechen. Das ist normalerweise nur an lokalen Festtagen wie Season-Opening, heiliges Steinbockklopfen, Ganja-Himmelfahrt, fröhliches Murmeltierwürgen, Vollmondjungfrauenjagd, oder wie im Moment, Testosteronglorifizierung der Fall. Ansonsten verlassen sie sich voll und ganz auf die wärmeisolierende Wirkung ihrer überdimensionierten Ganzkörperschambehaarung) und er möchte von mir ablenken, seiner femininen Seite.

Meistens gelingt ihm das ja auch relativ gut. Die wenigsten Leute durchschauen ihn – von meiner Existenz hat so ziemlich noch nie jemand etwas gehört. Aber es gibt mich. Ich schlummere tief in ihm drin. Ich treibe ihm eine Träne in die Augen, wenn im Autoradio «Patience» von Guns N’ Roses erklingt, ich bringe ihn zum Weinen, wenn in «Dances with Wolves» der Wolf getötet wird, und ich bringe ihn zum Heulen, wenn seine Mutti sein Lieblingshirt zu warm gewaschen hat (Duck ist übrigens 31). Natürlich verteidigt er sich dann immer damit, dass ihm im Fall von «Patience» eine Mücke ins Auge geflogen ist, bei «Dances with Wolves» dass der Dreckswolf viel grausamer hätte gekillt werden sollen, und beim T-Shirt, dass er nun seine brachiale Muskelmasse nirgends mehr richtig verstauen kann. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder, oder wie er sagen würde:

Viel Glück, und gute Fahrt.

Mond_Illu.png

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