Illustration: Oliver Conrad
Text: Dominik Brülisauer
Anmerkung: Als Kolumnist des SnowboarderMBM durfte ich zwischen 2006 und 2010 über meinen Lieblingssport schreiben. Wenn ich diese Texte heute lese, bin ich immer wieder positiv überrascht, wie reif ich in diesem Alter bereits war und dass ich keinen einzigen peinlichen Satz veröffentlicht habe.
Der beste Part vom Snowboarden ist das Sesselliftfahren! Besser als Powderruns, Cliffdrops, Tricks und Flips? Jawohl, und ich sage euch auch warum. Sesselliftfahrten stellen dem kopulierfreudigen Snowboardervolk die idealen Bedingungen für einen ungezwungenen Flirt bereit. Sie sind eine regelmässig wiederkehrende Gelegenheit, um bei potenziellen Körperflüssigkeitenempfängerinnen eine gute Figur zu machen. Liftfahren = Speedblinddating.
Seit Beginn der Evolution versucht der Mann die Frau zu beeindrucken. Weibliche Interpretation: Damit das Weiblein das Männlein mit dem besten genetischen Torpedo für sich gewinnen kann und sie zusammen den Erhalt der Spezies sichern können. Männliche Interpretation: Um irgendeine Frau flachzulegen und dann wieder in Ruhe gelassen zu werden. Nun, diese Missverständnisse haben sich schon seit Urzeiten am Leben erhalten und sind heute noch Auslöser für unzählige Dramen und Streitfälle. Das Sesselliftfahren hat aber den Vorteil, dass es solche höchst komplizierten biologischen, biochemischen und soziologischen Vorgänge massiv zu vereinfachen vermag. Anders gesagt: Mann bekommt die Gelegenheit sich gut zu verkaufen, ohne das ungute Gefühl haben zu müssen, dass man sich gerade in einem Bewerbungsgespräch befindet.
Konkret: Du fährst die Piste hinunter, erspähst ein Weiblein, bringst dich in ihr Blickfeld, fängst an in deine Jibbertrickkiste zu greifen und die Luft mit feinen Schneekristallen zuzusprayen (Pfauenfedereffekt). Vor dem Sessellift lässt du das Weiblein vorbeiziehen und stellst dich dann an der gleichen Warteschlange an. Sie weiss jetzt bereits, dass du snowboarden kannst wie eine Wildsau, und du weist jetzt, dass sie es auch weiss. Falls deine Künste ihr dann allerdings immer noch nicht Grund genug waren mit dir auf den Lift zu steigen, kannst du natürlich mit der richtigen Beschleunigungs- und Verzögerungstaktik während des Anstehens die Situation noch hinbiegen. Bist du dann mit dem Fräulein zusammen auf dem Sessel, hast du die erste Hürde genommen. Und falls du wirklich gut warst, hat sie immer noch das Gefühl, dass du sie noch gar nicht zur Kenntnis genommen hast.
Im Normalfall fühlt sie sich jetzt gezwungen, etwas zu sagen – schliesslich hast du es als Snowboardcrack ja bestimmt nicht nötig. Und Stille allein ist natürlich verdammt peinlich. Vielleicht lenkt sie sich noch ein bisschen ab, zieht sich den Lippenstift nach, putzt ihre Goggle, checkt ihre SMS oder täuscht einen Anruf vor. In dieser Zeit erfährst du eigentlich schon alles, was du über sie wissen musst. Ist sie cool, verbreitet sie eine sexy Stimmung, bringt sie einen witzigen Spruch, was spricht sie für eine Sprache, ist sie anturnend oder eher ein Blindgänger? Alle diese Informationen werden sekundenschnell gesammelt, gebündelt und verarbeitet. Der lustige pflichtbewusste Kollege und Berater in allen Lebensfragen, der in deinen Unterhosen wohnt, gibt dir dann schlussendlich das Okay oder bläst im ganz seltenen Fall zum Rückzug. Mein bewährter Rückzugtipp: Vortäuschen, man verstehe nur Russisch (Probleme gibt’s da höchstens, wenn der Strom ausfällt, der Lift lange stehen bleibt und dir langsam aber sicher die russischen Wörter ausgehen, oder sie saublöderweise gerade von einem längeren Sprachaufenthalt aus Moskau zurückgekommen ist).
Wenn die Dame aber passt, dann nichts wie los. Sie gehört die nächsten zehn Minuten dir ganz allein. Es ist ja nicht so, dass ihr in einem Club seid und sie davon ausgehen muss, dass du sowieso nur das eine von ihr willst. Es ist auch nicht so, dass ihr euch blind durchs Internet verabredet habt oder an einer Partnerverlosungstombola teilgenommen habt. Nein, das hier ist die ungezwungene Bergwelt; die Natur, der Schnee, der Sonnenschein und unser Freund Mister Sessellift. Du wirst selten bessere Karten bekommen als in so einer relaxten Situation. Wer ausser Männern würde hier schliesslich schon an Sex denken?
Ich merke, wie ich während dem Verfassen meiner Hommage an den Sessellift selbst wieder ein wenig nostalgisch und romantisch berührt werde. An meinen besten Tagen habe ich es tatsächlich geschafft, ganze Beziehungen auf einer einzigen Sesselliftfahrt zu durchleben. Kennen lernen, Lustighaben, Kuss, Grabsch, Stöhn, Kippe, sich auseinander leben und gemeinsam beschliessen, dass es wohl besser wäre, die nächste Sesselliftfahrt getrennt zu starten.
In diesem Sinne, viel Glück und gute Fahrt.