Illustration: Oliver Conrad
Text: Dominik Brülisauer
Anmerkung: Als Kolumnist des SnowboarderMBM durfte ich zwischen 2006 und 2010 über meinen Lieblingssport schreiben. Wenn ich diese Texte heute lese, bin ich richtig positiv überrascht, wie reif ich in diesem Alter bereits war und dass ich keinen einzigen peinlichen Satz veröffentlicht habe.
Ich bin seit fünf Jahren Götti (Patenonkel, für die Nichtschweizer) von Amanda, der Tochter eines meiner besten Freunde. Worte können kaum beschreiben, was mir diese Ehre bedeutet. Erstens, weil es nicht das Kind von meinem Bruder, sondern von einem Freund von mir ist. Hätte mich mein Bruder oder sonst ein Verwandter gefragt, ob ich Patenonkel werden möchte, dann hätte mich das natürlich auch gefreut. Aber es wäre eine andere Situation gewesen. Ich hätte dann wohl eher das Gefühl gehabt, die Stelle wird mir auf Grund meiner Familienzugehörigkeit und nicht auf Grund meines super Charakters angeboten. Abgesehen davon sind selbst Pandabären fortpflanzungsfreudiger als mein Bruder, womit sich das Problem auf diese Weise schon gar nicht stellt. Zweitens hat es mich gefreut, weil der Kollege ein echt cooler Typ ist und somit auch vielen anderen Kollegen den Patenonkeljob hätte anbieten können. Aber er hat ihn mir gegeben, jawohl. Habe ich schon erwähnt, dass Amanda die Erstgeborene meines Kollegen ist? Drittens bin ich saugerne Götti, weil ich keine Haustiere oder Pflanzen besitze, an denen ich sonst meine Pflege- und Fürsorgequalitäten trainieren könnte.
Nun zum Kern dieser Kolumne. Andrea, mein Kollege und Vater von Amanda, ist ein leidenschaftlicher Skifahrer. Ich allerdings bin ein Snowboarder. Okay, jetzt könnt ihr sagen, dass das doch wirklich schon lange kein Problem mehr darstellt und dass der Skifahrer-vs-Snowboarder-Konflikt mittlerweile so aktuell ist wie derjenige zwischen Spartanern und Persern. Nun, in diesem Fall bin ich wohl ein bisschen oldschool. Aber schliesslich bin ich zu einer Zeit Snowboarder geworden, als man sich für eine Seite entscheiden musste. Wenn man zu meiner Zeit gesagt hat, man sei Skifahrer und Snowboarder, dann war man etwa gleich glaubwürdig, wie wenn man sagen würde, man sei Fleischfresser und Vegetarier, Raucher und Nichtraucher oder gleichzeitig Fan von Rammsteinfan und Justin Bieber. Natürlich bin ich tolerant und aufgeschlossen, natürlich akzeptiere ich andere Lebenskonzepte und Einstellungen. Aber es kostet mich jedesmal viel Energie. Wenn ich meine Vernunft walten lasse, dann weiss ich, dass Skifahrer auch Menschen sind – genau wie wir. Wenn ich mich geistig zusammenreisse und darüber nachdenke, dann ist es mir schon klar, dass Skifahrer auch ihre Existenzberechtigung haben. Wenn ich die ganze Geschichte objektiv analysiere, dann komme ich auch immer zum Schluss, dass die Skifahrer sich währenden der Evolution gleich entwickelt haben wie die Snowboarder und nicht irgendwann im Primatenstadium hängen geblieben sind.
Blöderweise komme ich aber nur dann zu diesen Schlussfolgerungen, wenn ich mich intellektuell extrem anstrenge. Was mein Gefühl betrifft, bin ich irgendwann zu Beginn der 90er Jahre hängen geblieben. Und da wollten wir die Skifahrer am liebsten in der Pfeife rauchen. Heute sind die Freeskier zwar cool. Doch die Zeiten haben sich schneller geändert, als sich unsere Hirne der neuen Situation anpassen konnten. Ab und zu geht es mir und meinen alten Snowboardkollegen gleich wie den drei Haien in «Finding Nemo», welche die drei kleinen Fische gefangen haben. Die Haie wollten diese kleinen Fischchen nicht länger als Futter betrachten, sondern als Freunde gewinnen. Ihr kennt die Szene… Wenn sich beispielsweise in der Gondel ein kleiner Skifahrer zwischen uns drängt, dann laufen unsere Augen rot an, unsere Zähne fahren aus, wir geben uns gegenseitig die Flossen und sagen unser Mantra (Skifahrer are Friends, not Food. Skifahrer are Friends, not Food. Skifahrer are Friends, not Food) auf, bis bei der Bergstation oben die Türe aufgeht und der kleine Skifahrer in die Freiheit türmen kann. Dann atmen wir erleichtert auf, weil wir unseren Fresstrieb einmal mehr unter Kontrolle halten konnten.
Bei meiner Göttitochter (Patenkind, für Nichtschweizer) manifestiert sich mein Problem ziemlich konkret. Einerseits muss ich ihre Skifahrerroots respektieren, andererseits möchte ich ihr doch die qualitativ hochstehenden Werte der Snowboarderfamily näher bringen. Ist es für mich ethisch vertretbar, ihr Snowboardgoggles, Snowboardgloves oder Snowboardbeanies auf Weihnachten zu schenken, wenn sie diese so easy einfach zum Skifahren missbrauchen kann? Natürlich kann ich das. Aber nicht ohne mich zuerst euch anzuvertrauen. Danke für’s Zuhören.
In diesem Sinn, viel Glück und gute Fahrt.