MacGyver

Naturgesetze werden eingehalten.

Illustration & Text: Dominik Brülisauer

Dieser Text ist ein Kapitel aus «Das Buch der Helden. 30 Hommagen an die Idole meiner Jugend». Das Buch kannst du bei deinem Lieblingsbuchhändler bestellen. Oder klicke: hier. Vielen Dank!

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Ich bin davon überzeugt, dass im Universum Naturgesetze herrschen und wir diese erkennen und nutzen können. Ja, ich glaube daran, dass die Existenz der Welt theoretisch erklärbar ist. Selbstverständlich weiß ich, dass wir vieles noch nicht wissen oder noch nicht wissen können. Aber wenn irgendeine Institution die offenen Fragen eines Tages beantworten kann, dann wird das die Wissenschaft sein – und bestimmt nicht ein Jesus-Groupie wie die Fernsehpredigerin Joyce Meyer, kein im Psilocybin-Rausch dichtender Althippie am Burning Man und auch keine Miss Nordostschweiz, die sich nicht auf ihre Rolle als Dekoration an Schützenfesten oder als Blickfang bei Eröffnungszeremonien von Biergärten beschränken möchte und deshalb gerne ungefragt ihre spirituelle und intellektuelle Seite gegen außen trägt.

Theorien aus dieser Ecke besagen meistens, dass man ohnehin nichts wissen kann. Eine Erklärung wie die, dass Liebesgott Freyr nach einem Dreier mit den Liebesgöttinnen Venus und Aphrodite seinen astronomischen Samenerguss in die Nacht schoss und daraus die Milchstraße entstand, hat für diese Leute genau so viel Berechtigung wie jede wissenschaftliche Theorie, die sich mit so lästigen Kleinigkeiten wie Thesen, Versuchsanordnungen, Überprüfung und Fakten herumprügeln muss. Es ist nun mal eine Tatsache, dass nur die Wissenschaft auf der Basis von Forschung und Beobachtungen Theorien über die kleinsten Teilchen und die größten Galaxien aufstellt und diese auch noch gleich selbst überprüft, falsifiziert und verbessert. Dabei ist die Wissenschaft wie das Gesicht von Wolfgang Joop – eine ewige Baustelle. Auch hier muss man immer wieder nachjustieren, retuschieren, sich von gewissen Dingen trennen, einige Stellen glätten oder andere Bereiche ganz ersetzen.

Wissenschaft ist anstrengend, kompliziert und im besten Fall wertneutral. Aus diesen drei Gründen wird sie von immer mehr Menschen verteufelt oder einfach als moderne Religion verniedlicht. Man sieht in ihr nicht eine Methode zur Generierung von Erkenntnissen, sondern ein Werkzeug von denen, die da oben im Elfenbeinturm sitzen, Formeln und Zahlen wälzen und glauben, sie hätten die Weisheit für sich gepachtet. Und wer im Leben dann doch noch ein wenig Orientierung und Halt braucht, ohne gleich intellektuell gefordert zu werden, der kann sich immer noch mit Paulo Coelho, chinesischen Glückskeksbotschaften oder Songtexten von Beatrice Egli zufriedengeben.

Vielleicht hast du jetzt das Gefühl bekommen, dass ich von der Wissenschaftslobby bezahlt bin. Weit gefehlt. Meine Liebe für Naturwissenschaften, und vor allem für die Physik, ist so aufrichtig und ehrlich wie die Liebe und von Roger Schawinski zu sich selbst. Diese Faszination hat mit meinem Fernsehverhalten in meiner Kindheit zu tun. Eine meiner Lieblingssendungen war «MacGyver». Der gleichnamige Hauptprotagonist wurde von Richard Dean Anderson gespielt. MacGyver arbeitete als Agent für die Phoenix Foundation. In über 139 Episoden half er Leuten in Not, fasste Verbrecher, befreite entführte Menschen oder verhinderte Attentate. Wie du siehst, war MacGyver Flipper oder Lassie auf zwei Beinen.

Bei jeder guten Show steht ein bestimmtes Element im Mittelpunkt. Je stärker dieses Gravitationsfeld ist, das das ganze Konzept zusammenhält, desto mehr Geschichten kann man daraus entwickeln. Bei «Meteo» ist dieses Gravitationsfeld das Wetter, bei «Baywatch – die Rettungsschwimmer von Malibu» sind es Brüste, bei den verwöhnten Schnöseln von «Beverly Hills, 90210» Luxusgüter aller Art, bei «Hör mal, wer da hämmert» geile Werkzeuge, bei «Aktenzeichen XY … ungelöst» die Unfähigkeit der Polizei, bei der «Tagesschau» das aktuelle Weltgeschehen, bei den alten Folgen von «Two and a half Men» Charlie Sheen, bei den neuen Folgen von «Two and a half Men» die Abwesenheit von Charlie Sheen, beim «Wort zum Sonntag» die Leichtgläubigkeit der Menschen, bei «Der Bachelor» die Niveaulosigkeit der Menschen. Und bei «MacGyver» war es eben die Naturwissenschaft.
Das hatte einen guten Grund. MacGyver lebte nach dem Motto «Not macht erfinderisch».

In seiner Kindheit hatte er schlechte Erfahrungen mit Waffen gemacht. Seither war er vom Pazifismus angesteckt und wollte ohne den Einsatz derselben für das Gute zu kämpfen. Das ist zwar ungefähr so bescheuert, wie wenn jemand als Kind mal mit dem Fahrrad umgefallen ist, aber als Erwachsener trotzdem an der Tour de France mitmachen möchte und dann alle Etappen zu Fuß zurücklegt. Aber MacGyver konnte sein Waffendefizit mit Grips und dem fulminanten Einsatz seines Schweizer Armeemessers kompensieren. Ironischerweise verwandelte er damit alles in Waffen, was ihm in die Finger kam. Je nach Situation und Dringlichkeit bastelte er aus einer Seife und einem Tannenzapfen eine Handgranate, aus einem Schnürsenkel und einem Gefrierfach eine quantencomputerbetriebene Wasserstoffbombe und aus den Lego-Bauteilen des Star-Wars-Raumschiffs «Millennium Falcon» das Star-Trek-Raumschiff «Enterprise» mit der Innenausstattung des Alien-Raumschiffs «Sulaco». Dass das Raumschiff auch noch mit funktionstüchtigen Laserkanonen ausgestattet war, versteht sich wohl von selbst.

MacGyver war so erfinderisch und er konnte so gut basteln, dass er sogar folgende drei Innovationen hätte produzieren können. Erstens: einen Lügendetektor, der sich nach einer Rede von Donald Trump nicht in eine Burnout-Klinik verabschieden muss. Zweitens: einen Kebab, der nicht nach drei Bissen auseinanderfällt und einem dabei einen Soßen-Tsunami über die frisch gewaschene Hose spült. Drittens: ein Elektroauto, das bei der Produktion nicht bereits mehr Energie verschwendet als ich bei meinen verzweifelten Versuchen, ein angesehener Literat zu werden.

An MacGyver bewunderte ich nicht nur seinen Einfallsreichtum, sondern auch die Tatsache, dass ich ihn ernst nahm, obwohl er eine Vokuhila-Frisur trug. Das empfinde ich tatsächlich heute noch als eine seiner größten Leistungen. Bei jedem anderen Menschen auf dieser Welt wirkt eine Vokuhila-Frisur ungefähr gleich seriös wie ein Chef, der mit kurzer Hose zur Arbeit kommt, ein Türsteher, der ein Hello-Kitty-Shirt trägt, ein Thai-Boxer, der von Nickelodeon gesponsert wird, oder ein Philosoph, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, zu klären, ob Ohrfeigen zu den Früchten oder zum Obst gezählt werden müssen.
Das Wort Vokuhila ist übrigens eine Abkürzung für «vorne kurz, hinten lang». Obwohl ich den Begriff schon seit Jahrzehnten kenne, ist mir das erst jetzt aufgefallen. Ich bin ziemlich unschlüssig, ob ich mir gerade extrem schlau oder extrem dämlich vorkommen soll. Damals, als ich ganz allein herausfand, dass die Abkürzung SOS für «Save our Souls» stand, kam ich mir wesentlich klüger vor und stellte mir gleich noch extrem intelligente Fragen. Erstens: Dürfen Leute, die nicht an das Seelenkonzept glauben, ebenfalls das Notsignal SOS aufgeben? Zweitens: Was macht man, wenn man sich allein in einer Notsituation befindet? Sollte man dann korrekterweise SMS («Save my Soul») schreiben? Drittens: Der Imperativ «Save our Souls» klingt extrem arrogant. Warum hat sich nicht SOSP («Save our Souls, please») durchgesetzt? Meine Bereitschaft, jemanden zu retten, wäre wesentlich größer, wenn ich höflich darum gebeten würde, als wenn jemand in einer sternenklaren Nacht mitten im eisigen Polarmeer in diesem Befehlston die Nachtruhe in meiner kuscheligen Koje stören würde. So viel Anstand sollte man jederzeit aufrechterhalten, Katastrophe hin oder her.

Zurück zur Vokuhila-Frisur. Obwohl MacGyver mein Held war, war es für mich persönlich nie eine Option, mir selbst eine zuzulegen. Eher hätte ich mir alle Zähne gezogen und diese durch goldene ersetzt, das Kelly-Family-Logo auf den Hals tätowiert, Turnschuhe mit Blinklichtern getragen, einen jamaikanischen Rasta-Hut auf den Kopf gesetzt, Löcher in meine Jeans geschnitten, ein rosa Polo-Shirt getragen, wäre ein Trottinett gefahren oder hätte mich öffentlich zu David Hasselhoff bekennt. Alles hätte mehr Stil gehabt als eine Vokuhila-Frisur. Der Pazifismus und die Kreativität von MacGyver inspirierten mich aber dazu, darüber nachzudenken, was eine coole Erfindung sein könnte. Dabei bin ich auf die Idee für einen speziellen Mückenspray gekommen.

Herkömmliche Mückensprays bringen das Insekt um. Obwohl ich Mücken äußerst nervig finde, glaube ich doch, dass die Todesstrafe für ihre kleinen Sticheleien ein wenig übertrieben ist. Ich wollte also ein Mittel entwickeln, mit dem man eine lästige Mücke zwar besprühen konnte, aber anstatt sie dann in einem qualvollen Todeskampf grausam verrecken zu lassen, würde sie für zwei Sekunden auf die Größe eines Menschen aufgebläht. In dieser Zeit konnte man ihr mit Vollgas eine Faust ins Gesicht hauen. Ehe sie realisieren würde, was mit ihr geschehen war, würde sie wieder auf ihre ursprüngliche Größe zurückschrumpfen, unter Kopfschmerzen leiden und darüber nachdenken, ob es wohl eine gute Idee war, mir mein Blut abzwacken zu wollen. Das Produkt könnte man PRO-BRUMM nennen und mit dem Spruch «… und die Mücke hat keinen Stich und macht ‘ne Fliege» bewerben. Genial!

Würde ich nicht die ganze Zeit faul vor dem TV rumlümmeln, hätte ich mich längst an die Entwicklung gemacht, mit diesem Spray Millionen von Franken verdient und die ganze Welt glücklich gemacht. Aber leider ist das TV-Programm von heute immer noch so verdammt gut und mein Sofa mittlerweile ergonomisch an meinen Körper angepasst. Heute beginnt gerade eine neue 75-teilige Serie über eine hochbegabte, aber stumme dänische Soziologie-Professorin im Teenageralter, die von ihren Studenten gemobbt wird. Angeblich wird das Mädchen von einem entlaufenen schmerzmittelabhängigen Zirkusbären entführt, der sie mit einem von den japanischen Yakuza geklauten Heißluft-Ballon auf die Insel Gagarama im Nordsüd-Pazifik fliegt, und sie dort nackt aussetzt. Dank viel taktischem Geschick wird sie die Königin der lokalen Affenbande, baut eine Armee auf und kehrt als blutgeile Rächerin mit einer fliegenden Untertasse nach Dänemark zurück. Geil! Es kann also noch ein Weilchen dauern, bis ich mich wieder bewege.

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