Salvatore Schillaci

Mit den Füssen Gottes.

Illustration & Text: Dominik Brülisauer

Dieser Text ist ein Kapitel aus «Das Buch der Helden. 30 Hommagen an die Idole meiner Jugend». Das Buch kannst du bei deinem Lieblingsbuchhändler bestellen. Oder klicke: hier. Vielen Dank!

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Vor 66 Millionen Jahren tauchte ein riesiger Meteorit aus den Weiten des Weltalls auf und knallte auf die mexikanische Halbinsel Yucatán. Außer dass er die Erde kurzzeitig ziemlich erschütterte und das Schicksal der Dinosaurier besiegelte, sind von ihm keine weiteren spektakulären Aktionen bekannt. Es wurde schnell wieder ruhig um ihn. Man kann also sagen, dass dieser Meteorit das erste One-Hit-Wonder der Geschichte war – im wahrsten Sinne des Wortes. So wie es nach diesem kurzen, aber heftigen Auftritt um den armen Meteoriten ruhig geworden war, so ist es auch anderen Prominenten ergangen. Ebenfalls im wahrsten Sinne des Wortes sind das Schiff Titanic und der Popstar der Terroristenszene Osama Bin Laden reine One-Hit-Wonder geblieben. Wie der besagte Meteorit verschwanden sie nach nur einem Treffer (Eisberg und New York City) wieder zurück in die Bedeutungslosigkeit.

One-Hit-Wonder gibt es natürlich auch in der Musik. Von der Band Mr. Big kennt man nur den Song «To be with you». Auch von der gesamten deutschen Gangster-Rapper-Szene kennt man eigentlich nur ein einziges Lied. Damit meine ich natürlich den Song, in dem jemand in schlechtem Deutsch mithilfe von vielen peinlichen Kraftausdrücken und einem misslungenen Beat Frauen, Homosexuelle und Weicheier disst und gleichzeitig Gewalt, Drogen und Bodybuilding verherrlicht. Gut, zugegeben, dieser Track wurde von ganz vielen Testosterongranaten wie Haftbefehl, Kollegah oder Farid Bang in verschiedenen Interpretationen auf diversen Platten und unter verschiedenen Namen veröffentlicht. Aber eben, unter dem Strich ist es nur ein Song.

Irgendwie war auch die Mutter des Komponisten Johann Sebastian Bach ein One-Hit-Wonder. Sie stellte neun Kinder auf die Welt, von denen man heute allerdings nur noch ein einziges kennt. Die Mutter von Isaac Newton war da wesentlich effizienter: ein Kind, ein Hit. Auch unter Schauspielern gibt es One-Hit-Wonder. Die besten Beispiele sind wohl Macaulay Culkin aus «Kevin – Allein zu Haus», Paul Hogan aus «Crocodile Dundee» oder das Mammut, das in «Ice Age» das Mammut Manni spielt. Die Chancen, dass man einen dieser Stars jemals in einem anderen erfolgreichen Film zu sehen bekommt, sind minimal.

Einen meiner absoluten Helden aus meiner Kindheit muss ich im Nachhinein ebenfalls als One-Hit-Wonder bezeichnen – den italienischen Fußballspieler Salvatore «Toto» Schillaci. Geboren wurde er 1964 in Palermo. Bis in das Jahr 1990 bewegte sich der Sizilianer unter dem Radar der Weltöffentlichkeit. Da aus seiner frühen Lebensphase nicht viel von Schillaci bekannt ist, verzichte ich aus Effizienzgründen auf aufwendige Recherchen und verlasse mich bei deren Beschreibung auf mein subjektives Gefühl. Selbstverständlich versuche ich dabei, italienische Stereotype möglichst zu umfahren und ein differenziertes Bild seiner ersten Lebensjahre zu malen.

Logischerweise spielte Schillaci als Italiener bereits in seiner Kindheit Fußball. Dass er so lange wie möglich in seinem Elternhaus ausharrte und sich von seiner Mutter von morgens bis abends Spaghetti servieren ließ, auch davon kann man als Italienkenner ausgehen. Zwischendurch fuhr er bestimmt auch gerne mit seiner Vespa zur Gelateria. Dort gab er seine Tricolore-Bestellung Pistacchio, Vaniglia und Fragola vom Parkplatz aus über seine Motorroller-Hupe auf. Während er mit laufendem Vespa-Motor auf die Eislieferung wartete, blieb er lässig auf seinem Sattel sitzen, genoss mit offenem Benetton-Hemd und entblößten Brusthaaren die Sonne, summte den Adriano-Celentano-Song «Azzurro» und pfiff den vorbeistolzierenden Ragazze nach. Die schenkten ihm je nach Hormonspiegel ein südländisches Lächeln oder eine leidenschaftliche Ohrfeige.

Mein Gefühl sagt mir, dass er bei so einer Gelegenheit mal der falschen Frau ein Kompliment machte – wahrscheinlich der Frau, Mutter oder Tochter des lokalen Mafiabosses Don Tortellini. Normalerweise eine tödliche Situation. Aber glücklicherweise hatte Don Tortellini zu diesem Zeitpunkt gerade ein Anger-Management-Seminar bei Schmusebarde Lucio Dalla in der Toskana erfolgreich abgeschlossen. Anstatt Schillaci nach alter Familientradition mit Betonschuhen, die wortwörtlich wie angegossen passten, im Hafen zu versenken, ließ er ihn zu einem befreundeten Mafioso namens Don Coglioni nach Turin abschieben. Don Coglioni übte damals großen Einfluss auf den lokalen Fußballverein aus. Der Turiner-Mafioso hatte gerade ein paar Wetten gegen Juventus Turin am Laufen. In der Hoffnung, seine Gewinnchancen zu erhöhen, setzte er es durch, dass der Nobody Schillaci in der Mannschaft mitspielen musste, um sie mit seinem Dilettantismus zu sabotieren. Der Plan hätte funktionieren können. Aber komischerweise stellte sich Schillaci auf dem Rasen gar nicht mal so schlecht an und machte sogar eine richtige bella Figura. «Porca Puttana», dachte sich Don Coglioni und zerquetschte in seiner rechten Hand eine Tomate. Ein paar rote Spritzer landeten auf dem Sakko seines weißen Armani-Anzugs, was ihn noch mehr verärgerte.

Auf weiteren merkwürdigen Umwegen schaffte es Schillaci dann schlussendlich sogar in die italienische Nationalmannschaft. Wie das genau funktionierte? Auch darüber kann ich nur spekulieren. Meine momentane Vermutung ist die, dass Papst Johannes Paul II höchstpersönlich gefordert hatte, auch einen Amateur für Italien spielen zu lassen. Schließlich soll Fußball ja nicht nur Völker verbinden, sondern auch verschiedene Gesellschaftsschichten und Talentstufen. Oder Gott wusste bereits, dass die Italiener an den Fußball-Weltmeisterschaften 1990 im Halbfinale auf Argentinien treffen würden. Weil der Argentinier Diego Armando Maradona 1986 an der WM in Mexiko ein Tor mit seiner Hand geschossen hatte und danach die Frechheit besaß, dieses Foul als «Hand Gottes» zu bezeichnen, wollte Gott ihm diese Blasphemie zurückzahlen. Im Halbfinale würden die Argentinier auf die Italiener treffen, wo sich die Weltmeister von 1986 von einem Fußball-Greenhorn namens Salvatore «Toto» Schillaci oberpeinlich besiegen lassen müssten. Allerdings gewannen die Argentinier das Halbfinalspiel gegen Italien. Wahrscheinlich, weil Maradona mittlerweile dank der Vermittlungsarbeit von Pablo Escobar bereits einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatte. Aber wie gesagt, Recherchen sind hier schwierig – und ich möchte nicht einfach irgendwas ohne Hand und Fuß behaupten, schließlich schreibe ich hier ja nicht für den Axel-Springer-Verlag.

Fakt ist, dass die Fußball-Weltmeisterschaften 1990 zwar von Deutschland gewonnen wurden, der Star des Turniers aber ganz klar Salvatore Schillaci hieß. In den magischen italienischen Nächten wurde er über Nacht zum absoluten Überflieger. Zur offiziellen und ebenfalls unvergessenen Hymne von Gianna Nannini und Edoardo Bennato «Un’ Estate italiana» schoss Schillaci für die Squadra Azzurra Tor um Tor – sechs an der Zahl. Er war nicht zu bremsen, immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Mit seinen Kopfbällen, Weitschüssen und Dribblings brachte er nicht nur die Italiener, sondern auch mein 13-jähriges Ich zum Träumen. Obwohl ich vor dem Turnier mein ganzes Taschengeld auf einen deutschen Sieg gesetzt hatte, war es der flinke Italiener, der mich begeisterte. Das sagt auch etwas über die deutsche Mannschaft aus. Obwohl eine Niederlage der Deutschen mich finanziell total ruiniert hätte und ich mir etwa einen Monat lang am Kiosk keinen Super Bazooka hätte leisten können, brachte ich es nicht über mein Kinderherz, ihnen zuzujubeln. Selbst heute würde ich komischerweise viel eher eine Bande von erpresserischen Cyberkriminellen anfeuern, die mit Hackerangriffen Kinderkrankenhäuser lahmlegen, anstatt die deutsche Fußballnationalmannschaft.

Als Torschützenkönig des Turniers bekam Schillaci von der FIFA den Goldenen Schuh verliehen. Diese Auszeichnung bringt aber überhaupt nichts, wenn man sich nicht bei der nächsten Weltmeisterschaft einen zweiten Schuh dazu verdient. Dieses Glück blieb Schillaci leider vergönnt. Wie bereits angedeutet, leuchtete das One-Hit-Wonder Toto Schillaci in diesen italienischen Nächten zwar strahlend hell, aber danach sanken seine Leistungen wieder auf das Niveau eines Grümpelturnier-Spielers. Er verplemperte noch ein wenig Zeit bei Inter Mailand, dann wurde er nach Japan abgeschoben. Ein italienisches Drama, wie es Federico Fellini nicht tragischer hätte inszenieren können.

Heute ist Toto Schillaci für mich ein Symbol dafür, dass jeder über sich hinauswachsen kann. Und auch dafür, dass man den richtigen Zeitpunkt für seinen Rücktritt nicht verpassen sollte. Ich habe mir schwer vorgenommen, dass, falls eines Tages sogar aus mir noch etwas wird, ich daran denken werde, früh genug die richtigen Schritte respektive Rücktritte einzuleiten.

Aber bis es so weit ist, arbeite ich noch ganz fest daran, in irgendeiner Disziplin erfolgreich zu werden – wenn nicht als Death-Metal-Gitarrist, dann wenigstens als Heavy-Metal-Gitarrist oder als Light-Metal-Gitarrist. Und falls das nicht klappen sollte, dann eben als Gitarrist bei der Heilsarmee oder bei den «Büetzer Buebe». In der Zwischenzeit versuche ich nicht daran zu denken, dass ich bereits in einem Alter bin, in dem der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz seine Memoiren schreiben, Haley Joel Osment seine Karriere bereits seit zwanzig Jahren begraben haben und gleichaltrige Promis wie Snowboard-Olympiasieger Gian Simmen bereits eine zweite Laufbahn gestartet haben wird. Vielleicht habe ich mir tatsächlich bereits zu viele Gedanken über meinen zukünftigen Rücktritt gemacht, dass ich noch gar nie einen richtigen Vortritt gewagt habe. Im Notfall wird das meine Ausrede sein. Porca Miseria!

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