Anmerkung: Als Kolumnist des SnowboarderMBM durfte ich zwischen 2006 und 2010 regelmässig über meinen Lieblingssport schreiben. Wenn ich diese Texte heute lese, bin ich richtig positiv überrascht, wie reif ich in diesem Alter bereits war und dass ich keinen einzigen peinlichen Satz veröffentlicht habe.
Der Winter steht vor der Tür. Langsam aber sicher bekomme ich wieder ein schlechtes Gewissen, weil ich im vergangenen Sommer doch nicht so viel Sport getrieben habe, wie ich es mir eigentlich im letzten Frühling vorgenommen hatte. Es wird dieses Jahr erneut so aussehen, dass ich zwar am ersten Tag der Saison morgens um 14:00 Uhr hochmotiviert auf dem Berg aufkreuzen werde, aber bereits nach dem zweiten Run konstatieren muss, dass reales physisch-aktives Snowboarden doch noch ein wenig anstrengender ist als bequem im Sessel zu sitzen, selbstgedrehte Papiermotivationwürste zu rauchen, sprudelndes Gersten und Malzgebräu zu schlürfen und lässig auf der X-Box zu boarden – was einige Unbelehrbare tatsächlich immer noch als gute Theorieübung für den Winter betrachten. Das wäre ungefähr so, wie wenn man das Rezipieren von Pornofilmen als gute Übung fürs Liebesleben ansehen dürfte. Darf man aber zuverlässig nicht. Man darf sie vielleicht gerne bei (jeder) Gelegenheit mal anschauen. Aber man muss sie als das sehen, was sie sind – und zwar als fiktive Filme. Action pur. Da gibt es nichts zu sehen von flotten Anmachsprüchen, Tagen im Fitnesscenter, welche solche Körper (ich rede von den besseren Filmen) für viel Geld und Schweiss überhaupt produzieren, nichts von Esseneinladen und Kinobesuchen, wo sie den Film auswählt und er die Tickets zahlt, nichts von Gesprächen über Menstruationsverspätung, die Kacke ihres Hundes oder was sie gerade gegessen hat. Nein, in Porno sieht der Mann nur was passieren kann, wenn einer das ganze Programm durchgestanden hat und dabei das coole und verständnisvolle Image, welches er von sich selbst kommunizieren wollte, bis zum Schuss, äh Schluss, aufrechterhalten konnte.
Ist ein Pornofilm also Lebensschule? Nein, er darf aber Ansporn sein. Sind Snowboardgames eine gute Vorbereitung für den Winter? Nein, es sei denn, es gibt mal eine Version, bei der der Avatar zuerst auf den Berg fahren, endlos auf die Gondel warten und danach eingepfercht mit den tausend anderen Wintersportlern in der Kabine ausharren muss (während der reale Spieler durch einen Duftstäuber über dem Monitor mit einer Mischung dieser tausend Mundgerüchen bestäubt wird), um oben angekommen realisieren zu dürfen, dass er die Handschuhe im Auto vergessen hat. Ausserdem: fettige Sonnencrème einschmieren, lockere Schrauben anziehen und Lawinengefahr checken. Und erst dann darf die virtuelle Shredderparty beginnen. Eine mechanische Apparatur, welche am Sessel anmontiert werden kann und dem Spieler noch die Schmerzen eines nicht gestandenen Frontside 10’000ers seines virtuellen Riders zu übermitteln vermag, wäre dann die S/M Variante eines Games wie Coolboarders.
Der Fall ist also klar. Snowboardgames sind bestimmt kein idealer Traininigsersatz für den Winter. Wie beim Pornofilm bekommt man nur die Aktion, respektiv eine Illusion von Künstlern oder Avataren serviert, die einem zeigen, zu was eine gute Vorarbeit führen kann. Und nur weil man bei beiden Tätigkeiten seinen Joystick bedient und doch tatsächlich Freude empfinden kann, sollte man wirklich nicht davon ausgehen, dass das auch im realen Leben funktionieren könnte. Ich persönlich spiele Coolboarders um mein Snowboardvokabular upzudaten und die Namen der Tricks zu lernen, welche die anderen Fahrer, die sich auch über den Sommer fit gehalten haben, zum Besten geben.
Der erste Tag auf dem Berg wird aber noch eine andere Illusion zerstören als nur die meiner physischen Potenz. Bis zum ersten Run des Jahres bin ich immer der Überzeugung, dass ich mich dieses Jahr im Snowboardshop wirklich unglaublich stylisch eingekleidet habe und ich dieses Jahr mit meinen Klamotten so krass meine eigene Individualität unterstreichen kann, dass ich für alle anderen, natürlich weniger modebewussten Fahrern, vorkommen muss wie eine fleischgewordene Fashionepiphanie von einem anderen Stern. Tatsächlich werde ich aber auch dieses Jahr schon bei der Talstation zur Kenntnis nehmen müssen, dass ich wieder mal die Jacke gekauft habe, die alle anderen ebenfalls passend fanden, um ihre Individualität zu unterstreichen.
In diesem Sinne, viel Glück und gute Fahrt.