Illustration: Oliver Conrad
Text: Dominik Brülisauer
Anmerkung: Als Kolumnist des SnowboarderMBM durfte ich zwischen 2006 und 2010 regelmässig über meinen Lieblingssport schreiben. Wenn ich diese Texte heute lese, bin ich richtig positiv überrascht, wie reif ich in diesem Alter bereits war und dass ich keinen einzigen peinlichen Satz veröffentlicht habe.
Letztes Jahr wurde ich 30 Jahre alt (das war 2007). Schon wesentlich mehr als die Hälfte meines Lebens habe ich im Winter nichts Besseres zu tun, als auf irgendwelche Berge zu steigen und diese mit Hilfe der Gravitation und eines flachen, sargdeckelähnlichen Objektes mit Belag und Bindung, wieder hinunterzugleiten. Sinn und Zweck der ganzen Übung? Hier zwei kluge Antworten auf diese saublöde Frage:
Antwort 1: Um zu allen anderen dazuzugehören, die anscheinend ebenfalls nichts Besseres zu tun haben.
Antwort 2: Weil die Freizeitindustrie mit ihren Werbesöldnern es verstanden hat, das erwähnte Objekt dermassen mit Träumen und Lifestyleklischees aufzuladen, dass man, um ein cooler Typ zu bleiben, gar nicht anders kann, als diesen injizierten Sehnsüchten zu folgen. Hätte es im antiken Griechenland schon Werbebüros gegeben, wäre bestimmt einer auf die Idee gekommen zu verkünden, dass es verdammt cool ist, einen Stein immer wieder auf einen Berg zu tragen nur um ihn dann wieder hinunterrollen zu lassen. Volcom Stone hätte das Material geliefert, die Rolling Stones (die stammen doch ungefähr aus dieser Zeit?) den Soundtrack zum Lifestyle und Sisyphus wäre der erste Terje Haakenson der Geschichte gewesen.
Zurück in die Neuzeit. Wenn man heute als Snowboarder auf den Berg geht, merkt man nichts mehr von dem Krieg, der hier oben ausgefochten wurde. Hier ein kleiner Abriss für die Teenager, die heute auf die Piste kommen und das Gefühl haben, es sei schon immer alles Friede, Freude und Peacecake gewesen.
Meine Generation Snowboarder musste sich den Berg heldenhaft gegen die erdrückende Übermacht der Skifahrer erkämpfen. Der Krieg war erbarmungslos. Es war ein Kampf der Kulturen, der Philosophien und der Weltbilder. Doch wir waren moralisch überlegen. Schritt für Schritt haben wir den Berg eingenommen und die Front der Skifahrer in die Seitentäler zurückgedrängt. Plötzlich waren wir nicht nur gleichberechtigt, mussten also nicht mehr betteln ob wir auf den SKI-lift gehen, oder die SKI-piste benutzen, oder ob wir unsere Besäufnisse Après-SKI nennen durften, sondern die Skifahrer wurden plötzlich auch zu Freestylern. Wir hatten es geschafft. Plötzlich konnte man sich frei bewegen und sich in extra angelegten Parks sogar nur mit Gleichgesinnten treffen. Leider musste ich kürzlich feststellen, dass der Friede auf dem Berg erneut bedroht ist. Ziel der Agression ist erneut meine Generation – doch der Gegner kommt dieses Mal aus einer ganz anderen Ecke.
Kurze Zusammenfassung: Die Sonne schien, mein obligatorisches Sonntagsdelirium hatte sich langsam in einen gewöhnlichen Hangover verwandelt, der Vornamen meiner Freundin ist mir wieder eingefallen und der Park sah vom Lift her gut geshapet aus. Ich kann von mir immer schon am Morgen sagen, ob ich an diesem Tag gut oder beschissen fahren werde. Eine Eigenschaft, die sich bei mir auch beim Pokerspielen, Surfen, Gitarrespielen, Klettern, Nasenbohren und anderen Tätigkeiten offenbart. Ausser beim Sex, da kann ich von mir tatsächlich behaupten, dass ich immer verdammt gut bin. Das aber nur als kleine Werbeunterbrechung in eigener Sache. Jedenfalls war das einer dieser Tage, an denen mir alles gelang. Also durchquerte ich die mit Stimorolplakaten verzierten Pforten in den Park mit einem guten Gefühl. Ich liess den Point-of-no-Return hinter mir, verschaffte mir einen Überblick über das Angebot, habe erkannte, an welchen Obstacles und Kickern es am meisten Zuschauer zum beeindrucken hatte, und bin losgefahren. Ich entschied mich für eine saubere Kickerline. Duckbackflip, Backside 360 Indy und einem schönen Frontside 540 zum Abschluss. Bis auf den Backside 360 ist es bei mir nie wirklich klar, ob ich die Tricks auch sticke. Die Chancen schwanken je nach Tagesverfassung beachtlich. Jedenfalls habe ich nach vollbrachter Leistung innerlich gejubelt. Aber gegen aussen kommunizierte ich natürlich ein gelangweiltes «war schon OK zum Einwärmen, und wenn ich nicht noch Besseres zu tun hätte, würde ich euch noch ganz andere Tricks um die Ohren hauen».
Hinter dem Parcours gesellte ich mich zu ein paar Teenagern, die da artspezifisch rumgelümmelt sind, und zündete mir meine wohlverdiente Zigarette an. Und dann ist es passiert! Eine pubertierende Pickellandschaft mit Zahnspange und Zöpfen fickte mich mit Vollgas an: «Das war cool, sind SIE ein Profi?» Der hat gesessen! Meine Eier zogen sich zusammen, ein leichter Brechreiz machte sich bemerkbar und ich musste mich kurz abstützen. Dann bin ich explodiert und habe diese Ausgeburt des Teufels zurück in die Steinzeit geprügelt. Natürlich nur rhetorisch. Aber der Fall ist klar. Die heutige Jugend will uns Veteranen den Krieg erklären. Sie scheissen auf unser Recht beim Snowboarden – ganz besonders in einem Park (Nationalpark!!!) –, als geistig Gleichaltrige behandelt zu werden. Wenn ich auf mein Alter aufmerksam gemacht werden will, dann schaue ich in einen Spiegel. Wenn ich von meinem Alter fliehen will, gehe ich in den Park zum Spielen. Mit meinen Hosen unterhalb der Arschbacken, mit meinen infantilen Kollegen, mit meinem Recht Teenager zu bleiben. Da brauche ich doch niemanden der mich ungefragt siezt. Lasst euch das eine Warnung sein, im Park sind alle gleich jung! Für immer!!! Und was den Profi betrifft, das war wohl offensichtlich. Meine Sponsoren: Mami und Papi, noch mit 30. Soll mir mal jemand nachmachen, ätsch!
In diesem Sinne, viel Glück und gute Fahrt.