Bon Jovi

Knutschen, Mineralwasser und Kuschelrock.

Illustration & Text: Dominik Brülisauer

Dieser Text ist ein Kapitel aus «Das Buch der Helden. 30 Hommagen an die Idole meiner Jugend». Das Buch kannst du bei deinem Lieblingsbuchhändler bestellen. Oder klicke: hier. Vielen Dank!

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1983 startete die Band Bon Jovi aus New Jersey ihre unvergleichliche Weltkarriere. Ich gehe mal davon aus, dass die Idee für den Bandnamen von Sänger Jon Bon Jovi stammt. Wie er seine Kollegen davon überzeugen konnte, dass es keine Alternativen dazu gibt, das bleibt ein Geheimnis der Band. Wahrscheinlich drohte er damit, ihnen sein Haarspray in die Augen zu sprühen, wenn sie mit Gegenvorschlägen auftauchen. Es ist eine unbestrittene Tatsache, dass es wenig auf dieser Welt gibt, das noch uncooler ist als Bon Jovi. Dazu gehören vielleicht E-Zigaretten, Leute mit Kleeblätter-Ohrsteckern, Frauen mit Schnurrbart, Männer mit Schnurrbart, Hämorrhoiden, Rafael Beutl, Typen, die mit Karabinern ihren Schlüsselbund an der Hose befestigen, aber keine Hipster sind, alle T-Shirts, die man von seiner Mutter geschenkt bekommt, Hipster, Dell-Laptop-User, Radiomoderatoren, die immer unglaublich gut drauf sind, Modellflugzeugpiloten, die mehr als zwölf Jahre alt sind, und Menschen, die aus nicht ironischen Gründen einen Fiat Multipla fahren.

Der Fiat Multipla ist übrigens das einzige Fahrzeug der Welt, das nach einem Unfall besser aussieht als vorher. Wenn ich Polizist wäre, würde ich konsequenterweise sämtliche Fiat-Multipla-Fahrer aus dem Verkehr ziehen. Wenn jemand so ein hässliches Auto kauft, leidet er garantiert unter einer Sehschwäche und gehört nicht hinters Steuer. Ich hechte jedenfalls immer blitzschnell in Deckung, wenn ich irgendwo einen fahrenden Fiat Multipla entdecke. Sicher ist sicher.

Zurück zu Bon Jovi. Die Tatsache, dass es die Band seit bald vierzig Jahren gibt, ist vielleicht ein Hinweis darauf, dass Coolness gar nicht mal so erstrebenswert ist. Die Coolen scheißen auf Gesundheit, Sicherheit oder gesellschaftlich akzeptierte Verhaltensnormen und leben dementsprechend weniger lang. Jim Morrison, Kurt Cobain, Tupac Shakur, Bon Scott oder Falco – sie alle traten mehr oder weniger in der Blüte ihrer Jugend von der Weltbühne ab. Sie nahmen das Lebensmotto «Sex, Drugs and Rock n’ Roll» ernst. Das Konzept bei Bon Jovi heißt eher «Knutschen, Wasser und Kuschelrock». Bei Bon Jovi hat man das Gefühl, dass sich die Bandmitglieder ausschließlich von gedünstetem Gemüse und ungespritzten Erdbeeren ernähren, früh ins Bett gehen, direkte Sonneneinstrahlung meiden, sich im Volvo anschnallen, ihren Ehefrauen treu sind und mit diesen auch nur Safer Sex in der Missionarsstellung praktizieren. Sie leben alle so gesund, sie könnten prompt Botschafter für den Vitaparcours oder eine Krankenkasse sein. Diese Tatsache ist für einen Rockstar so rufschädigend wie ein Sponsorenvertrag mit Marlboro für einen Triathleten.

Nein, Bon Jovi ist keine dreckige, lebensverachtende, selbstzerstörerische Rockband, die auf ihren Tourneen schwangere Groupies und brennende Konzerthallen hinterlässt. Ganz im Gegenteil: Bon Jovi geben sich sogar wirklich Mühe, Coolness mit ihrem solarstrombetriebenen Tour-Bus großräumig zu umfahren.

Frontmann Jon Bon Jovi heiratete mit 27 Jahren. Ein richtiger Rockstar hat in diesem Alter nur eines zu tun: spektakulär abkratzen und auf der Bühne jemandem Platz machen, der noch abgefuckter drauf ist als er. Auch die Tätowierungen der Bandmitglieder sehen so aus, als hätte sich der Tattoo-Stecher einen Scherz erlaubt und die Zeichnungen seiner blinden Kinder verewigt. Jon Bon Jovi hat beispielsweise ein Superman-Logo auf seiner linken Schulter. Das darf man eigentlich nur machen, wenn man selbst Superman ist. Peinlicher als das Superman-Logo wäre höchstens noch die Tätowierung einer Dose Hundefutter, eines japanischen Schriftzeichens, das einen lebenslang an die zweistündige Zwischenlandung am Flughafen von Tokio erinnern soll, oder einer Lebensweisheit von Hausi Leutenegger, wie zum Beispiel «Lieber Selfmade-Milliardär als Lotto-Millionär».

Bon Jovi beweisen auch heute immer wieder, dass sie der Disney-Film unter den Rockbands sind. Sie fluchen nicht und sie schauen immer mit großen, herzigen Augen. Frontmann Jon Bon Jovi macht sich für die Demokraten stark, die Band zerstört keine Gitarren auf der Bühne und hinterlässt jedes Hotelzimmer in einem besseren Zustand, als sie es bezogen hat. Wenn sich ein Hotelier auf den nächsten Besuch einer Rockband freut, dann ist das normalerweise so schräg, wie wenn die Stadt New Orleans Hurrikan Katrina vermisst, Marseille die russischen Fußball-Hooligans oder Barcelona die Millionen von Airbnb-Touristen.

Während meiner Schulzeit war ich ein bekennender Bon-Jovi-Fan. Es war mir egal, dass die Band nicht cool war. Bon Jovi gehörten mein Herz und meine Ohren. Die Musik von Bon Jovi war nichts weniger als der Soundtrack meiner Kindheit. Beim morgendlichen Pickelausdrücken lief «It’s my Life», mit «Wild is the Wind» versuchte ich auf meinem stürmischen Schulweg meine Frisur zu retten und mit «(It’s Hard) Letting you go» verabschiedete ich meine ersten ausgefallenen Haare, die mich darauf aufmerksam machten, dass es langsam an der Zeit war, keine Witze mehr über meinen glatzköpfigen Vater zu reißen. Mit «Wanted dead or alive» ging ich auf Mädchensuche, mit «I’ll be there for you» versprach ich ihnen das Blaue vom Himmel, Liebe machte ich mit ihnen zu «Bed of Roses» und mit «Never say goodbye» weinte ich in mein Kopfkissen, wenn sie sich mit der Bemerkung, dass «Runaway» ihr persönliches Lieblingsstück von Bon Jovi sei, am Morgen wieder aus dem Staub machten.

Bon Jovi waren nichts weniger als meine Helden. Jon Bon Jovi war der beste Sänger, Richie Sambora der beste Gitarrist, David Bryan der beste Keyboarder, Alec John Such der beste Bassist und Tico Torres der beste Drummer der Welt. Wer etwas anderes behauptete, mit dem sprang ich ungefähr so um wie Idi Amin mit seinen Kritikern. Damals behandelte ich Bon-Jovi-Poster aus der «Bravo» wie Wertpapiere von Microsoft. Von Schulfreunden erwarb ich sie auf dem Schulhof zu horrenden Preisen, berührte sie nur mit Gummihandschuhen und klebte sie in meinem Kinderzimmer chronologisch an die Wände. Wäre mein Zimmer ein wenig größer gewesen, hätte ich eine Sicherheitsabstandslinie auf den Boden gemalt, damit man ihnen nicht zu nahekam. Meinen Gästen hätte ich erklärt, dass man die Exponate nur betrachten, aber nicht berühren dürfe, Essen und Trinken in diesen sakralen Räumlichkeiten der Andacht und Verehrung verboten seien und man nicht mit Blitzlicht fotografieren dürfe, weil die Ikonenposter sonst im Verlauf der Jahrhunderte ausbleichen würden. Am liebsten hätte ich noch einen Kunststudenten angestellt, der während meinen Abwesenheiten gelangweilt in meinem Kinderzimmer in der Ecke gestanden und auf meine Sammlung aufgepasst hätte. Meine Bon-Jovi-Fanshirts waren für mich der feinste Edelstoff. Komischerweise ging meine Mutter nie auf meine Bitte ein, meine Bon-Jovi-Shirts nur von Hand, mit stillem Evian-Wasser, teuerster Aleppo-Seife und größter Sorgfalt zu waschen, sondern sie stopfte sie jeweils demonstrativ mit den dreckigen Unterhosen der ganzen Familie in die Maschine. Ich empfand das als Blasphemie und hätte jedes Mal am liebsten laut losgeheult.

Wie niemand außerhalb von Nordkorea Nordkorea toll findet, konnte auch ich Außenstehende nicht von Bon Jovi überzeugen. Aber das heißt nicht, dass ich es nicht versucht hatte. Einer meiner missionarischen Höhepunkte war ein Vortrag in der Schule. Mit Argumenten aus der Harmonielehre, der Musikgeschichte und der Frisurenwissenschaften versuchte ich meine Mitschüler auf den rechten Weg respektive auf den richtigen Gehörgang zu bringen. Aber ich hätte größere Chancen gehabt, einem iranischen Mullah Frauenrechte schmackhaft zu machen oder einen Löwen für vegetarische Ernährung zu begeistern. Aber eben. Ich war und blieb der Einzige, der Bon Jovi cool fand.

Während meiner ganzen Jugend wartete ich umsonst darauf, dass die Band endlich in einen Skandal verwickelt wurde. Dabei waren meine Ansprüche nicht besonders hoch. Es hätte mir gereicht, wenn Bon Jovi mal eine Parkbusse unter dem Scheibenwischer des Tour-Busses vorgefunden, ein Konzert fünf Minuten zu spät begonnen, einmal auf die Bühne gekotzt, auch wenn die Ursache der Übelkeit nur ein schlechtes Salat-Sandwich gewesen wäre, oder eine gewünschte Zugabe nicht gespielt hätten. Es hätte nur eine dieser Sachen passieren müssen, um meinem Umfeld erneut zu erklären, dass Bon Jovi badass-cool war. Aber selbstverständlich geschah leider nichts dergleichen.

Meine devote, fast schon homosexuelle Liebe zu Jon Bon Jovi habe ich bis heute noch nicht ganz aufgearbeitet. Auffällig ist vielleicht, dass ich später in meinem Liebesleben ein paar Freundinnen hatte, die beim genaueren Betrachten durchaus Ähnlichkeiten mit dem Jon Bon Jovi der 90er-Jahre aufwiesen. Mittlerweile bin ich extrem froh, dass ich als Kind nicht auf Zucchero oder Meat Loaf abgefahren bin, sonst wäre ich heute wohl mit einer Seekuh verheiratet. Mit den Jahren wurde Jon Bon Jovis Mähne immer kürzer und die Musik noch softer. Parallel zu Jon Bon Jovis Frisur verflüchtigte sich mit der Zeit auch meine Liebe zur Band und machte Platz für andere Helden. Der Lauf des Lebens.

Aber da alte Liebe bekanntlich niemals rostet, lege ich heute immer wieder mal aus nostalgischen Gründen einen Klassiker wie «Bad Medicine» oder «Livin‘ on a Prayer» auf. Und wenn ich ehrlich bin, gehe ich nach drei Bier noch immer voll zu den Songs ab. Selbstverständlich tue ich so, als ob ich das ironisch meine oder gebe dem Alkohol die Schuld für meine Freudentränen. Man hat ja einen Ruf zu verlieren. Aber hey, gewisse Songs sind einfach für die Ewigkeit geschrieben. Ehre, wem Ehre gebührt. Und dank Bon Jovi weiß ich auch, dass man machen kann, was man will, irgendjemand auf der Welt wird es bestimmt cool finden. Diese Erkenntnis finde ich sehr beruhigend – aber auch ein wenig beängstigend.

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